Inklusion

An diesem Beitrag habe ich lange gefummelt, ihn mehrfach umgeschrieben, hin- und her überlegt, ob ich ihn tatsächlich veröffentlichen soll. Abschließend zufrieden bin ich nicht. Aber das Thema ist mir wichtig, und so lasse ich den Ballon mal steigen. Mal abwarten, wie die Kommentare ausfallen.

Es ist eine bei Weitem nicht abschließende und auf keine Fall fundierte Befassung mit dem Thema Inklusion. Aber die folgenden eher lose aneinander gereiten Gedanken und Fragen gehen mir – auch vor dem Hintergrund der eigenen Betroffenheit – durch den Kopf.

Menschen mit Behinderungen wird heutzutage wesentlich mehr und vor allem angemessenere Beachtung geschenkt.

Das vorweg.

Am 3. Mai 2008 trat das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-Behindertenrechtskonvention – UN -BRK) in Kraft.

Seit dem sind 15 Jahre vergangen und es ist schon eine Menge passiert. Klar, es liegt noch eine Menge Arbeit vor uns, aber ich halte es da gerne mit den Sprichwort „Lieber die Taube als im Spatz, Dach liegt auf der Hand“. Nein, das ging irgendwie anders! Egal.

Integration wurde von der Idee der Inklusion abgelöst oder darum ergänzt. Menschen mit Behinderungen sollen ein exklusives inklusives Leben führen können. „Teilhabe am gesellschaftlichen Leben“, wie sich die deutsche Sozialgesetzgebung ausdrückt. In Deutschland schlagen die zuletzt vorgenommenen Änderungen von Namen, Inhalt und Nummer des Sozialgesetzbuches XII gerade heftige Wellen in den Branchen und Behörden, die es berührt. Ihr glaubt es kaum: die Wellen entstehen nicht wegen des neuen sexy Namens „Bundesteilhabegesetz“. Auch nicht, weil es nun die römische Nummer IX statt XII trägt (WARUM?) Nein, tatsächlich sind es die Inhalte! Das Novelierung war natürlich notwendig, um sich der Umsetzung der UN- BRK anzunähern. Schnell merkten aber die Sozialhilfgeträger: Wer soll das denn bezahlen?! Und so wurden in windeseile noch ein paar Reperatur- Gesetze erlassen und die Zugänge zu Teilhabeleistungen mit so hohen Barrieren bewehrt, dass selbst erfahrene Sozialarbeiter ins schwitzen kommen. Ich glaube, dieser Geschichte widme ich mal einen eigenen Beitrag. Da steckt Potential drin! 😉

Renee Iseli- Smits berichtet tagesfrisch in ihrem Blog „Ich bin schwerhörig – Na und ?“ über die erste Behinderten- Session in der Schweiz.

Es entstehen neue, inklusive Wohnagebote für Menschen mit geistiger Behinderung außerhalb stationärer Wohnformen.

Der Begriff der Fürsorge wird endlich – aber langsam, viel zu langsam – aus dem Handeln und Denken verbannt.

Und es sind auch solche Sachen – scheinbar Kleinigkeiten – wichtig:

Aktion Sorgenkind heißt nun Aktion Mensch.

Es wird vom „Fahrdienst“ und nicht vom „Behindertentransport“ gesprochen.

Es tut sich was!

Aber hat Inklusion nicht auch die Aufgabe, Grenzen aufzuzeigen UND Alternativen zu bieten, die zufrieden stellen?

Ist es nicht auch richtig, dass der Mensch mit Behinderung seine eigenen Grenzen erkennt und akzeptiert ohne daran zu zerbrechen? Oder weniger stark: traurig zu sein, oder sich zurückgesetzt zu fühlen?

Das Inkusion ihm hilft bei einer realistischem Selbsteinschätzung dazu bleiben, was möglich ist und was halt eben nicht?

Ich sage: Ja.

Und rede nicht davon die Bemühungen zur Umsetzung der UN- BRK einzustellen.

Eher im Gegenteil!

Weil ich die Diskussion um diese Aufgabe der Inklusion als den weitaus schwierigeren empfinde und er Teil der Bemühungen sein muss.

Auch wenn ich in meinem Blog an vielen Stellen mehr barrierefreie Systeme und mehr Rücksicht auf meine schlechten Ohren einfordere, entwickele ich nicht den Anspruch, dass man mir ermöglicht, Toningenieur werden zu können. Oder das ALLES sich nur noch um mich und mein Hören dreht. Aber es geht deffintiv besser.

Eine sehr nette Kollegin, die mit Spasmen durchs Leben geht, bemerkte einmal treffend, dass sie wohl kein Pianistin mehr werden würde.

In das Auto, das von einem Mensch mit geistiger Behinderung gesteuert wird, würde ich nicht einsteigen.

Kann ein fremdaggressives oder verhaltensauffälliges Kind ab einem gewissen Grad nicht mehr in einer Regelschule unterrichtet werden, weil es die Mitschüler:innen gefährden könnte oder ihnen das Lernen in seiner Anwesenheit nicht mehr angemessen möglich ist? Auch wenn ein Teilhabeassistent dabei ist.

Aber wer trifft denn die Entscheidung, ab wann das nicht mehr möglich ist?

Gute Frage!

Und wer schützt dann in einer anderen Schule die Mitschüler:innen vor diesem Kind?

Nächste gute Frage!

So ein Kind würde man wohl einen System- Sprenger nennen.

Ich bevorzuge inzwischen mehr den Begriff des System- „Überprüfers“.

Vor einigen Jahren bekam ich eine Unterschriften- Liste unter die Nase gehalten, bei der Unterschriften gegen ein Gerichtsurteil gesammelt wurden. Mit dem Urteil wurden Bewohner einer Einrichtung für Menschen mit Behinderung dazu verdonnert, den Garten nur noch für eine gewisse Zeit betreten zu dürfen, weil sie durch ihre einzige Möglichkeit zur Mitteilung – Schreien – die Nachbarschaft massiv störten. Ich habe nicht unterschrieben. Alle Menschen haben die gleichen Recht und Pflichten. Recht auf Ruhe und Pflicht zur Rücksichtnahme.

Können Menschen im Rollstuhl erwarten, dass z. B. die deutschen Mittelgebirge barrierefrei umgebaut werden?

Können Blinde Kritiker für Malerei sein?

Interessanterweise kann aber der Depressive Komiker sein. Wie etwa der von mir hochverehrte, leider inzwischen für immer in Jumanji weilende Robin Williams.

Klar gibt es die berühmten Ausnahmen!

Ludwig van, der alte Schwerenöter z. B. Taub wie ein Stock am Ende seines Lebens, aber da hat er noch gerockt wie fast kein zweiter.

Ich habe von Profi- Musikern mit Cochlea Implantat gelesen.

Stephen Hawking, der der Welt zeigte, dass man trotz ALS, die einen ab einem gewissen Grad wie einen Sack Grütze aussehen lässt und dadurch ab einem weiteren Grad eigentlich nix mehr geht, die Physik neu erfinden kann.

Blinde besteigen den Mount Everest.

Ich feiere sie alle! Sie zeigen uns, was möglich ist.

Aber ist nicht auch inklusiv, wie der Liedermacher Fanny von Dammen festzustellen, das auch „lesbische, schwarze, Behinderte ätzend sein können“?

Ist Inklusion neben der auf gesellschaftpolitischen Ebene zu erledigenden Entwicklungsarbeit und zu führenden Diskussion nicht auch eine hochgradig subjektiv empfundene Sache, die, wenn sie individuell als geglückt empfunden ist, nicht zu diskutieren ist?

Beinhaltet Inklusion auch, dass es Zumutungen geben muss?

Ich empfnde mein Leben manchmal auch als Zumutung. Unabhängig vom Hören!

Fragen über Fragen!

4 Kommentare zu „Inklusion

  1. Du stellst gute Fragen, auf den ich keine Antwort habe. Für mich bedeutet Inklusion, das jemand im Rollstuhl nicht Stundenlang auf einen Tram warten muss, weil die meisten Trams nicht Rollstuhl gerecht sind.
    Oder das auch hörbeeinträchtigte Menschen gleichberechtigt öffentlichen Parlementsdebatten folgen können, mit oder ohne Dolmetscher. Das Untertitel normal sind. Das Menschen die das wollen die Wahl haben mit Assistenz selbstständig zu wohnen und nicht im Heim gesteckt werden, weil Assistenz zu teuer ist.
    Oder das Menschen mit Behinderung für ihre Arbeit entsprechend entlohnt werden, auch im sozialen Werkstatt.
    Gleichberechtigung ist für mich ein Schlüsselwort.

    Gefällt 2 Personen

    1. Danke für den Like und den Hnweis auf die guten Fragen. Diese waren eher nicht dazu gedachte, sie zu beantworten, sondern darüber nachzudenken und in Diskussion zu kommen,
      Die von Dir genannten Dinge sind natürlich enorm wichtige Faktoren, um Inklusion für alle begreifbar und erlebbar zu machen.
      Aufgrund ihrer besonderen Verletzlichkeit stehen für mich insbesondere die Menschen mit geistiger Behinderung im Fokus (Waren aus diesem Personenkreis eigentlich auch Vertreter bei der Behinderten Session?) . Also eben die, die am liebsten in Heime gesteckt werden und in Werkstätten arbeiten müssen. Ich arbeite seit 30 Jahren im Betreuten Wohnen für Menschen mit Behinderungen. Also aufsuchende Assistenz in der eigenen Wohnung.
      Immer noch erlebe ich, dass Menschen die Fähigkeit zum Leben in einer eigenen Wohnung abgesprochen wird, weil sie nicht z. B. nicht mit Geld umgehen, nicht die Waschmaschine bedienen oder sich nicht angemessen ernähren könnne. Immer wieder lade ich solche Vertreter dann ein, dass wir mal einen Tag in einem Frankfurt Stadteil seiner Wahl verbringen. Wir würden dann bei den Normal- Bürgern klingeln und fragen, wer denn Ver- oder sogar Überschuldet ist und ob Vati denn auch mal die Wäsche wäscht, bzw. dass überhaupt kann. Erstaunlich wäre sicher auch die Anzahl der Übergewichtigen, die uns die Türen öffen. Dürfen nur die scheinbar Nicht- Behinderten Schulden machen, Dinge nicht können und sich beschissen ernähren?

      Gefällt 1 Person

      1. Klar verstehe ich, dass deine Fragen nicht gedacht waren sie zu beantworten. Sie regten mich trotzdem an zu reagieren.
        Menschen mit einer geistiger Behinderung waren nicht so vertreten wie sie hätten sein sollen, wurden aber trotzdem des öfteren erwähnt. Auch dein Anliegen und Forderung für mehr selbstbestimmtes Leben wurde mehrfach erwähnt. Vor allem auch das Recht auf Leben mit Assistenz, nicht in Heime, und das Recht auf politische Teilhabe, e.g. das Menschen mit einer geistiger Behinderung das Wahlrecht nicht entzogen wird.
        Ich stimme dir zu, dass dein Anliegen ein wichtiges Thema ist und auch viel mehr Beachtung haben sollte.
        Mir ist auch wichtig, dass einfach mal ein Umdenken in der Gesellschaft stattfindet. Das Menschen mit Behinderung nicht mehr als Kostenpost gesehen werden, sondern das es normal wird, z.B. in der Bauplanung alle Gebäuden so einzurichten, dass sie für alle Menschen mit Behinderung zugänglich sind. Das ein Rollstuhllift oder Rampe so normal werden wie eine Treppe, das in öffentliche Gebäude Ringleitung oder oder Sehbehinderte gerechte Markierungen so normal werden als ein Schalter oder so, wo das jetzt oft vergessen geht. Und ja, dass das selbständig Leben mit Assistenz für Menschen die Assistenz brauchen der Norm wird, und nicht die Heime.

        Ein kleines Beispiel: ich habe neulich eine lokale Politikerin gefragt ob im Saal, wo die monatliche öffentliche Parlamentssitzung stattfindet, auch Ringleitung anwesend ist, weil sie mir ermutigt hat mal so eine Parlamentssitzung beizuwohnen. Sie hat es nicht gewusst. Und genau das Bewusstsein zu fördern, ein Umdenken in den Gedanken der Menschen braucht es. Und das fängt mit den kleinen Änderungen an, damit die größere Folgen können.

        Gefällt 1 Person

  2. Guter und mutiger Beitrag zu einem heiklen Thema – was mir an der UNO-Behindertenrechtskonvention gefällt, ist ihr Geist (sie wurde in der Schweiz erst vor wenigen Jahren ratifiziert): Die Behinderte muss nicht um alles kämpfen, muss nicht jeder Inklusionsmöglichkeit hinterherhecheln, sondern hat Anspruch darauf, dass die Öffentlichkeit, der Staat, die Firma auch ein bisschen mitdenken. Doch, klar, da gibt es Grenzen, auch kostenbedingte. Nur: Wo liegen sie genau? Ich weiss es auch nicht.

    Gefällt 1 Person

Hinterlasse einen Kommentar